[Talk-at] Klettersteige
Friedrich Volkmann
bsd at volki.at
Sun Sep 12 06:47:39 UTC 2021
On 12.09.21 05:29, Kevin Kofler via Talk-at wrote:
> denn ein Klettersteig ist eben
> kein Weg und soll nicht als solcher gerendert werden.
Nachdem ich schon in meinem Eingangsbeitrag beschrieben habe, wie Leute
darauf hineinfallen, dass etwas mit "Klettern" im Namen als gefährlich
angesehen wird, stellst du dich hier als Paradebeispiel dar. Da muss man
sich fragen, warum ich überhaupt etwas schreibe, wenn es sowieso keiner liest?
Für den Fall, dass es doch noch gelesen wird, hier eine Aufklärung:
Ursprünglich bezeichnete man als Klettersteig tatsächlich nur Steige, auf
denen man klettern musste. Der Übergang von einfachen Wegen zu Kletterei war
freilich damals schon fließend, was sich darin ausdrückte, dass die
Schwierigkeiten, die heute in der UIAA-Skala mit 0 und 1 bewertet werden,
noch den überwiegenden Teil der Benesch-Skala einnahmen (III bis VIII).
Schon früh begann man, schwierige Stellen zu entschärfen, z.B. indem man
Leitern hinstellte. Auch heute noch gibt es in vielen sonst unversicherten
Routen an den schwierigsten Stellen Trittstifte, Seilschlingen oder sogar
kurze Drahtseile. Alle solchen Hilfen bezeichnet man als Versicherungen.
Aber erst Anfang des 20. Jahrhunderts kam die Mode auf, Steige mit großem
Aufwand mit Eisenversicherungen auszustatten und damit Wandpartien
zugänglich zu machen, die sonst gar nicht oder nur in schwieriger Kletterei
überwindbar wären. Wegen des vielen Eisens nannte man sie Eisenwege oder auf
Italienisch "via farrata". Beachte, dass bei beiden "Weg" das Grundwort ist
und die Eisenwege somit von vornherein immer als Wege aufgefasst wurden.
Damals gab es noch keine Klettersteigsets. Man ging alle Klettersteige
ungesichert, schließlich waren ja die Eiseneinbauten schon die
"Versicherungen". Entsprechend wurde z.B. der Haidsteig im Raxführer von
Benesch/Pruscha mit UIAA 1 bewertet, also als "leicht". Nur Anfänger
sicherten sich mit Seil, und das auch nur bei Steigen, die heute mit D oder
E bewertet werden. Ich kenne noch einige Bergsteiger der alten Schule
persönlich, die den Haid- oder Währingersteig immer ohne Klettersteigset
gegangen sind.
Weil "Eisenweg" sich etwas schwerfällig anhört, mit der aufkommenden Liebe
zur Natur im Widerspruch stand, und vielleicht auch weil im Zuge der
Weltkriege Eisen immer mehr mit Krieg und Gefangenschaft assoziiert wurde,
kam der Begriff im Deutschen immer mehr ab. Stattdessen nannte man sie
Klettersteige. Dahinter stand durchaus auch ein Marketinggedanke: Die
Touristen suchten keine Sicherheit, sondern das Abenteuer. Darum ließ man
auch den Zusatz "versicherter" Klettersteig weg, was letztlich zu einer
Bedeutungsverengung führte.
Heute im Zeitalter der Risikovermeidung und der Generation Schneeflocke hat
sich das umgedreht. Man versucht nicht mehr, die Touristen mit der
Abenteuerlichkeit einer Route anzulocken, sondern sie von allen Gefahren
fernzuhalten. Darum gibt es eine Inflation an roten und schwarzen Punkten
auf den Wegweisern, und auch der Versuch, alle "gefährlichen" Routen aus OSM
verschwinden zu lassen, spiegelt diese Geisteshaltung wider.
> Das hat ja schon zu
> einigen Vorfällen vor Ort (von vermeidbaren Rettungsaktionen bis hin zu
> schweren Unfällen) und nachgelagerten Diskussionen in der OSM-Community
> geführt.
Zum Beispiel? Ich kenne aus Medienberichten nur Fälle, wo jemand verunglückt
oder von der Bergrettung geholt werden muss, weil er von der geplanten Route
abkommt, nicht weil ein versicherter Klettersteig eingezeichnet ist. Auch im
Gelände habe ich schon etliche Leute angetroffen, die einen versicherten
Klettersteig gesucht und sich auf einen unversicherten verirrt haben, nie
umgekehrt. Auf die schwierigeren Klettersteige kann man sich gar nicht
verirren, weil schon am Einstieg Warntafeln stehen und allein schon das
senkrecht raufgehende Drahtseil jeden abschreckt.
> Wenn der Klettersteig von den Wanderkarten als solcher gerendert
> wird
Dafür gibt es die Tags via_ferrata_scale=*, safety_rope=*, ladder=* und rungs=*.
> und in den anderen Karten lieber gar nicht als falsch aufscheint, ist
> das doch genau das, was wir wollen, oder?
Nein, das wollen wir nicht! Wir kartieren für OSM, damit jeder die Daten zur
Verfügung hat, nicht um sie zu verbergen, und schon gar nicht um Anwender zu
bevormunden.
--
Friedrich K. Volkmann http://www.volki.at/
Adr.: Davidgasse 76-80/14/10, 1100 Wien, Austria
More information about the Talk-at
mailing list