[Talk-at] Neighbourhoods in Wien

Stefan Nagy stefan.nagy at posteo.net
Wed Feb 7 20:29:20 UTC 2018


Am Dienstag, den 30.01.2018, 21:42 +0100 schrieb Friedrich Volkmann:
> On 30.01.2018 19:05, Stefan Nagy wrote:
> > … Durch solche gemeinsamen Bezugspunkte entsteht Idenität. Man ist
> > Laxenburger. Die anderen sind Biedermannsdorfer.
> 
> Das war bis zu meiner Jugend auch in Wien so. Man ging zum Greißler 
> einkaufen, saß in der Freizeit im Hof der Wohnhausanlage und
> tratschte mit den Nachbarn. Meine Großmutter ging alle Wege zu Fuß.
> Was weiter weg war, lag außerhalb ihres Lebensbereichs. Meine Eltern
> hatten unterschiedliche Dialekte, man konnte am Dialekt erkennen, aus
> welchem Teil Wiens jemand kam. Das ist in den letzten Jahrzehnten
> alles verloren gegangen, und das ist eine Entwicklung, die auch
> Mödling und seine Nachbargemeinden betrifft:
> 
> > Also wenn man Leute aus einem anderen Bundesland kennenlernt,
> > werden die Differenzen zum Achauer vernachlässigbar; dann ist man
> > Mödlinger. Aber wenns um Wien geht… Viele Mödlinger die ich kenne
> > haben ein Wien-Bild, das starke Ähnlichkeiten zu dem hat, das ich
> > sehr ähnlich von Steirern kenne (trotz der viel kürzeren
> > Luftlinie). Sie haben ihr Bild primär aus den Medien – und dann
> > kennen sie noch die Mariahilfer Straße, den Graben und die Kärtner
> > Straße. Ihr Zentrum ist aber eben nunmal Mödling, nicht Wien.
> 
> Heute pendeln viele Mödlinger nach Wien zur Arbeit, und alle Wiener,
> die es sich leisten können, siedeln aus Wien raus ins Umland. Die
> Durchmischung ist hier in vollem Gange, und du bist dafür das beste
> Beispiel. Du hast deine Identität als Laxenburger aufgegeben und im
> Gegenzug auch zum Identitätsverlust der Nikolsdorfer beigetragen.

Ja, da geb ich dir völlig Recht. Das lustige ist, dass ich mich trotz
alledem zu jemandem entwickelt habe, der alle Strecken unter einer
Stunden Gehzeit zu Fuß bewältigt und dadurch in den letzten zehn Jahren
einen sehr starken Wien-Bezug entwickelt hat.

Ich habe nicht nur einen starken Wien-Bezug, sondern auch ein recht
klar abgegrenztes Grätzl. Es ist aber sehr individuell und hat keinen
Namen. Mein engster Freund (ein Ex-Achauer) wohnt im Haus gegenüber und
sein Grätzl sieht doch deutlich anders aus. Er hat andere Interessen,
geht einer anderen Beschäftigung nach, geht nur in seiner Freizeit zu
Fuß (also spazieren), hat ein Auto usw. usf. Ein anderer enger Freund
(ein Ex-Mödlinger) wohnt bei mir im Haus und er bewegt sich
grundsätzlich mit dem Fahrrad durch die Stadt – selbst wenn es zu Fuß
nur fünf Minuten Gehzeit wären… Auch sein Ortsbezug (und damit auch
sein Grätzl) ist anders.

Das Mobilitätsverhalten in der Bevölkerung ist so unterschiedlich, dass
ich mir schwer tue damit, heute kollektive Grätzl-Konstruktionen ernst
zu nehmen…

> Heute identitfiziert man sich nicht mehr mit einem Ort, sondern über 
> Interessen, und die sozialen Kontakte finden nicht mehr an der
> Bassena oder im Wirtshaus statt, sondern am Handy und auf Facebook.
> Auch unsere Diskussion jetzt gerade ist nicht eine zwischen zwei
> Laxenburgern, sondern eine zwischen zwei Openstreetmappern, die
> einander nie gesehen haben.

Auch hier stimme ich dir zu.

> > glaubst du, die Leute von links und rechts der
> > Nikolsdorfer Straße erkennen sich dort als Nikolsdorfer?
> 
> Es wär interessant, von Tür zu Tür zu gehen und sie zu fragen.
> Zumindest ob sie was von Nikolsdorf wissen. Bei den jüngeren,
> zugereisten sind die Antworten vorhersehbar, interessant sind die
> Senioren. Wenn du Lust hast, können wir das mal gemeinsam versuchen.
> Ich wohne auch nur 1½ km entfernt.

Wie ich deinen Berichten entnehme, hast du mit solchen Gesprächen eine
gewisse Praxis. Ich mach sowas – ganz ehrlich – nur sehr ungern. Auch
wenn mich die Ergebnisse so einer Befragung schon interessieren würden…

> > Meine Erfahrung ist eben die, dass man in freien Projekten mit
> > derart unterschiedlichen Leuten zu tun hat, dass man immer wieder
> > bemerkt, dass man ganz unterschiedliche Weltwahrnehmungen hat und
> > ab und zu – so sehr man sich auch bemüht – einfach aneinander
> > vorbeiredet. Da finde ich sowas wie die Dritte Meinung eine ganz
> > gute Sache.
> 
> Nur ist hängt es dann halt davon ab, wer der Dritte ist. Wenn der
> zufällig ausgewählt wird, ist auch seine Meinung zufällig.

Als jemand, der noch nie von der Dritten Meinung profitiert hat, bin
ich trotzdem für die zufällige Auswahl. Es ist so oder so einfach
schwierig zu akzeptieren, wenn man nicht in der Lage ist, die eigene
(einem selbst in aller Regel als Selbstverständlichkeit erscheinende)
Position durchzusetzen. Ganz besonders ärgerlich ist es, wenn man zum
Beispiel als Historiker dann zweien gegenüber steht, die ihr in der
Schule vermitteltes Geschichtsverständnis – und das eint die Laien –
für die Krone der Schöpfung halten… Aber am Ende steht eben einfach die
Erkenntnis, dass ich schlicht versagt habe, meine Position verständlich
und überzeugend darzulegen. Darin hab ich mittlerweile einige
Erfahrung…

> > Ich würde den Projekten nicht vorwerfen, etwas falsch zu machen. Es
> > ist eben wirklich beachtlich, wie unterschiedlich man Dinge
> > einschätzen kann; wie wenn man auf unterschiedlichen Planeten leben
> > würde. Angesichts dessen ist es eher ein Wunder, wie gut nicht
> > autoritär geführte Projekte funktionieren.
> 
> Ich sehe das pessimistischer, nämlich dass nicht-autoritär geführte
> Projekte sich früher oder später einer autoritären Führung zuneigen,
> so wie in Animal Farm.

In Projekten der Freien Software und Freien Inhalte sehe ich für diesen
Pessimismus – zumindest noch – keine Veranlassung. Orwells Enttäuschung
über Entwicklungen in der sozialistischen Arbeiterbewegung sollte man
meines Erachtens nicht einfach auf soziale Strukturen zu übertragen,
die 40 Jahren nach Erscheinen des Buches erst entstanden sind…

Wenn ich keine Hoffnung hätte, wäre ich niemals in Projekten der Freien
Inhalte und der Freien Software aktiv.

> > > > Im deutschsprachigen Wiki-Artikel steht "eine geografische oder
> > > > soziale Bezugsstruktur innerhalb einer Großstadt (place=city)
> > > > […] welche sich räumlich/geografisch und auch oft von der
> > > > sozialen oder ethnischen Struktur seiner Bewohner her von
> > > > anderen Stadtvierteln abgrenzt".
> > > > 
> > > > Keines dieser Kriterien wird erfüllt.
> > > 
> > > In der englischen Version steht was ganz anderes. Ich verstehe
> > > nicht, warum Deutsche und Russen immer wieder abweichende
> > > Definitionen aufstellen wollen und damit die internationalen
> > > Standards untergraben.
> > > 
> > > Die zitierte Definition klingt schwulstig, ist aber trotzdem
> > > unscharf. Was soll man sich unter einer "geografischen oder
> > > sozialen Bezugsstruktur" vorstellen? Auch eine Familie oder ein
> > > Sport- oder Pensionistenverein sind soziale Bezugsstrukturen. Als
> > > Beispiel für eine geografische Bezugsstruktur fallen mir die
> > > Alpen ein. Der Hinweis auf "andere Stadtviertel" scheint mir
> > > unpassend, denn das Wort "andere" impliziert, dass auch das
> > > place=neighbourhood selber ein Stadtviertel ist. Stadtviertel
> > > sind aber größere Einheiten, z.B. place=quarter.
> > 
> > Zu geografischen Bezugspunkten (von "struktur" würde ich da nicht
> > sprechen): Ich verbringe immer wieder viel Zeit in Luzern in der
> > Schweiz und gibt es Hügel bzw. Berge, zu denen Bezüge in den
> > lokalen Identitäten bestehen. Also man wohnt am Gütsch oder am
> > Bramberg usw. Die Gegenden unterscheiden sich durchaus
> > soziokulturell und auch in der Architektur.
> 
> Bei uns war es auch nicht anders, meine Mutter stammte vom Laaerberg.
> Der ist in OSM als Gipfel eingetragen, aber praktisch war er zugleich
> ein Grätzel, in der jeder über jeden alles wusste.
> 
> Ob das mit der geografischen Struktur gemeint ist, ist ein anderes
> Thema, und ich finde sowieso diese ganze deutsche Wikiseite verfehlt,
> weil sie mit anderen Seiten in Konflikt steht.

Und auch da stimme ich dir zu (das hab ich vorher unter den Tisch
fallen lassen): Die deutschen Seiten im Wiki sollten selbstverständlich
Übersetzungen der englischen sein. Es kann nicht sein, dass sich die
Wiki-Seiten in unterschiedlichen Sprachen gegenseitig widersprechen…

> > Soziale Bezüge habe ich oben genannt; eben danach frage ich ja bei
> > Nikolsdorf. Es braucht irgendwas, das ein "Wir" herstellt; in aller
> > Regel ist das eine Vielfalt von Bezugspunkten, daher macht da auch
> > das Gerede von einer Bezugsstruktur Sinn.
> 
> Auch da bleibt es Spekulation, ob wirklich das gemeint ist. Das weiß
> nur derjenige, der die deutsche Seite geschrieben hat; und warum er
> sich was eigenes ausgedacht hat statt die englischsprachige
> Originalseite sinngetreu zu übersetzen, kann auch nur er beantworten.
> Ich schätze, über https://www.openstreetmap.org/message/new/kjon kann
> man ihn befragen. Ich werde das aber nicht machen, weil mir offen
> gesagt egal ist, warum er es gemacht hat. Wenn das Geschirr
> zerbrochen ist, macht die Frage nach dem Warum es auch nicht mehr
> ganz. Man braucht dann keine Fragen, sondern jemanden, der es in
> Ordnung bringt.
> 
> Solang wir von unterschiedlichen Wiki-Definitionen ausgehen, ist es 
> jedenfalls kein Wunder, dass uns eine Einigung schwer fällt.

Stimmt, ignorieren wir die deutschen Seiten einfach.

Ich sehe trotzdem keine Grundlage dafür, die Namen früherer Vorstädte
oder Dörfer als heutige suburbs oder neighbourhoods einzutragen –
außer, die Namen werden heute von vielen verwendet.

Ich werde mich also sicher nicht für die Löschung von Inzersdorf oder
Oberlaa einsetzen. Mir gehts hier um Nikolsdorf, Hungelbrunn,
Matzleinsdorf, Hundsturm, Magdalenengrund, Laimgrube, Gumpendorf usw.
usf.



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